Siegener Zeitung, 22.09.2007 / Siegerländer Heimatkalender 2008: zurück

Die Geschichte der Grube "Victoria" bei Littfeld

Ein Memorandum zur Stilllegung vor 80 Jahren / Morgen große Mineralienschau in der Siegerlandhalle

Zeitgenössisches Ölgemälde mit der Grube "Victoria" und den Aufbereitungsanlagen der Grube "Heinrichssegen" von Karl Scheiner
Barytkristalle aus dem Müsen-Littfelder Revier (Foto: M. Reinhardt)
Millerit von der Grube "Victoria" aus dem Jahre 1909 (Foto: Jeff Scovil)
sz Littfeld. Weit schweift der Blick vom "Gipfelgrat" der Schachthalde der Grube "Victoria" über das Littfelder Grubental. Auf der gegenüberliegenden Talseite erhebt sich der Gipfel des sagenumwobenen und mit einem Aussichtsturm gekrönten Kindelsberges - das Siegerländer Ausflugsziel schlechthin.
Nach einer bergbaugeschichtlichen Wanderung genießt unsere kleine Wandergruppe des Müsener "Stahlbergvereins" den wunderbaren Blick über die geschichtsträchtige herrliche Mittelgebirgslandschaft, die sich rings um unseren exponierten Rastplatz erstreckt. Es ist ein klarer Herbsttag und unsere Wanderung durch die herrlichen Buchenwälder des Hohen Waldes vermittelte uns so manches Naturerlebnis; hoch über uns hinweg zogen Kraniche keilförmig ihre Bahn nach Süden und sogar eine Rotte Wildschweine kreuzte unseren Weg.
Westlich von uns erheben sich die imposanten Halden der sagenumwobenen Grube "Altenberg" über den Wald. Weit zu unserer Rechten steigen Modellflugzeuge in den tiefblauen Himmel. Gestartet sind sie vom Gelände des Modellsportvereins, welches früher einmal zur gemeinsamen AUfbereitung der Gruben "Altenberg" und "Heinrichssegegn" gehörte. Die ehemaligen Grubenweiher und Halden sind heute ein bedeutendes Refugium einer großen Vielfalt seltener Pflanzen und Tiere.
Unweit der Schachthalde befinden sich im Wald die mittlerweile von der Natur zurückeroberten und überwachsenen Fundamente und Mauerreste der Tagesanlagen von Grube "Victoria"; ein Schachtverschluss aus Beton mit Gedenkstein verkündet die genaue Lage des 580 m tiefen Schachtes.
Weit schweifen die Gedanken zurück. Noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts war das Tal noch geprägt vom emsigen Treiben der Bergleute, zählte die Grube "Victoria" noch zu den berühmten Erzgruben des Siegerlandes.
Die Anfänge der Grube liegen im Dunkeln. Uralte Pingenzüge deuten aber auf ein sehr hohes Alter hin und Schlackenfunde verweisen auf einen alten Rennfeuerbetrieb, da die Erze noch an Ort und Stelle verhüttet wurden.
Der älteste - allerdings nur indirekte - Hinweis stammt vom Bergmeister Kutschauer aus dem Jahre 1663 anlässlich einer Befahrung des Müsener Reviers.
Im Jahre 1740 wird die Grube erstmals namentlich erwähnt: Laut Chronik des Kirchspiels Krombach hatte sich eine neue Gewerkschaft gebildet und mit dem Bau des ca. 125 m langen "Oberen Victoria-Stollens" begonnen.
Nach einer Betriebsunterbrechung sowie wechselnden Besitzverhältnissen wurde die Grube im Jahre 1804 wieder aufgewältigt und in der Mitte des 19. Jahrhunderts erreichte schließlich mit dem ca. 450 m langen "Tiefen Victoria-Stollen" ein weiterer Stollen die Bleierzgänge der Grube.
Die in diesem Stollenbetrieb - genannt "Alte Gr. Victoria" - gewonnenen Erze wurden mit Fuhrwerken zu den unterschiedlichen Hütten der Region transportiert. Alles in allem war der Grubenbetrieb aber noch recht unbedeutend. Noch im Jahre 1863 schreibt der Bonner Mineraloge Nöggerath: "... in weiterer nördlicher Erstreckung der Hochwald (heute: Hoher Wald), welcher die Gänge der Blei- und Silbererzgrube Heinrichssegen und anderer Gruben von geringerer Wichtigkeit in sich schließt." ("Zeitschrift für das Berg-, Hütten- und Salinenwesen", 1863).
Im Jahre 1873 waren schließlich 22 Grubenfelder unter dem Namen "Victoria" konsolidiert und auf Blei-, Kupfer-, Zink- und Eisenerz und z.T. auch auf Schwefelkies und Quecksilber verliehen. Die Kuxen befanden sich dabei größtenteils im Besitz des Grundherrn, des Grafen von Fürstenberg-Herdringen.
Als der oberflächennahe Abbau durch den "Tiefen Victoria-Stollen" an seine Grenzen stößt und Kapital für eine Erschließung der in der Tiefe lagernden Erze benötigt wird, erwirbt eine rheinisch-westfälische Kapitalgruppe die Grube und finanziert eine Tiefbau-Anlage sowie eines modernen Ausbau des Bergwerkes.
Erst jetzt wird das eigentliche Potenzial der Grube ersichtlich. In Verbindung mit großartigen Bleierzaufschlüssen wurde im Jahre 1886 eine für damalige Verhältnisse neuzeitliche Aufbereitung errichtet und im Jahre 1890 ein Maschinenschacht im festen Gestein abgeteuft.
Gleichzeitig wurde zwischen der Schachtanlage und der 600 m entfernten, talabwärts liegenden neuen Aufbereitung eine zweigleisige Schleppbahn eingerichtet. Diese Bahn, die sich auf einem - heute noch markant erhaltenen - aufgeschüttetem Damm befand, wurde auch Bremsberg genannt, weil die talwärts fahrenden beladenen Wagen die leeren und somit leichteren Wagen den Berg gleichzeitig wieder hinaufzogen. Die Bahn benötigte keinen maschinellen Antrieb; man musste lediglich das umlaufende Seil bremsen, damit die Geschwindigkeit der zu Tal fahrenden Wagen nicht zu hoch wurde. Den weiteren Transport der hüttenfertig aufbereiteten Erze besorgte ab 1900 eine 2,5 km lange schmalspurige Grubenbahn, die als Zubringer zur "Ruhr-Siegbahn" die Aufbereitung mit dem Bahnhof Littfeld verband.
1909 nimmt die Aktiengesellschaft "Märkisch-Westfälischer Bergwerksverein" (Letmathe) die Gelegenheit wahr, unter Vermittlung des Siegener Bergbau-Effekten-Händlers Ernst Giebeler den gesamten Grubenbesitz der Gewerkschaften "Altenberg" (mit "Heinrichssegen" und "Wildermann") und "Victoria" zu erwerben. Der Gesamtwert der Kuxe von "Victoria" betrug dabei alleine schon 2,7 Millionen Mark.
Den Aufzeichnungen des ehemaligen Bergmannes Ernst Böcking aus Littfeld verdanken wir ein detailliertes Bild des Grubenbetriebes nach der Jahrhundertwende. Der 580 m tiefe Doppelschacht der Grube erreichte in Verbindung mit zwei abgesetzten Blindschächten schließlich eine Gesamtteufe von 705 m. Die von der Fa. Vetter/Eiserfeld erbaute Fördereinrichtung war mit zwei Seilscheiben und doppelstöckigen Förderkörben ausgestattet. Die mit Dampf betriebene Fördermaschine ermöglichte dabei eine Erzförderung von 1200 m/min; die Personenfahrt war mit 300 m/min deutlich langsamer. Die Belegschaft betrug zur Jahrhundertwende auf Victoria 201 Mann und unter Tage versah u.a. der Steiger Albert Wurmbach aus Littfeld seinen Dienst (Vater des bekannten Siegerländer Heimatdichters Adolf Wurmbach).
In der Aufbereitung arbeiteten Frauen und junge Mädchen aus Littfeld und Müsen an den sog. "Lesetischen"; Böcking berichtet, dass selbst die harte 12-stündige Akkordarbeit die Frauen nicht davon abhielt, während der Arbeit zu singen.
Es folgte nun die - wenn auch recht kurze - eigentliche Blütezeit der Grube. Die Förderung an Blei und Zink betrug in den besten Jahren monatlich mehr als 500 Tonnen. Die Bleierzförderung erreichte im Jahre 1913, die Zinkförderung im Jahre 1911 ihren höchsten Stand. Die Grube war eine reine Metallerzgrube; das eigentliche Haupterz des Siegerlandes - der Spateisenstein - kam zunächst nur untergeordnet vor und war eher unerwünscht. Da die einzelnen Gänge bei zunehmender Teufe aber immer mehr Eisenstein führten, wurde schließlich auch dieser gewonnen und zunächst in rohem, später auch in geröstetem Zustande abgesetzt.
Zusammenschluss mit "Grube Heinrichssegen": Im Jahre 1919 erfolgte die Konsolidation mit der Nachbargrube "Heinrichssegen", deren Gänge ca. 300 m südlich von "Victoria" am Südhang des Hohen Waldes aufsetzten und die südliche Fortsetzung der "Victoria"-Gänge bildeten. Bedingt durch den natürlichen Zusammenhang beider Vorkommen und der günstigen Lage des Schachtes von "Victoria" unmittelbar an der Grubenfeldgrenze von "Heinrichssegen" erfolgte schnell die Einsicht in die betriebswirtschaftliche Notwendigkeit, durch den gemeinsamen Betrieb beider Bergwerke große Ersparnisse und einen rationellen Aufschluss beider Erzvorkommen erzielen zu können.
Stilllegung: Im Jahre 1923 übernahm die "Bergbau-Aktiengesellschaft Lothringen" den gesamten Grubenbesitz "Victoria-Altenberg". Inwieweit dies eine Folge der politischen Verhältnisse nach dem verlorenen I. Weltkrieg war, ist nicht belegt. Interessant ist aber in diesem Zusammenhang, dass in den 70-er Jahren der ehemalige Bergmann Richard Katz aus Krombach - einer der damals noch letzten lebenden Bergleute von "Victoria" - berchtete, dass die Bergleute nach der erzwungenen Übergabe an die lothringische Gesellschaft aus Patriotismus ein neu erschlossenes, mächtiges Bleiglanzmittel wieder zugesprengt hätten. Eine indirekte Bestätigung dieser Aussage ist die Tatsache, dass die spätere Stilllegung der Grube erst nach Verhandlungen mit dem "Demobilmachungskommissar" erfolgen konnte.
Mitte der zwanziger Jahre führte die sinkende Blei- und Zinkproduktion der Grube in Verbindung mit einem Nachgeben der Metallerzpreise schließlich zu wirtschaftlichen Problemen, welche die nun zunehmenden Eisensteinvorkommen auf den tieferen Sohlen kompensieren sollten. Doch auch hier gab es Absatzschwierigkeiten, da die Qualitätsansprüche der Hütten durch mangelnde mechanische Aufbereitung des ohnehin vergleichsweise armen Eisenerzes nicht befriedigt werden konnte.
Erste Befürchtungen zur Rentabilität der Grube waren schon im Jahre 1912 geäußert worden. So stellte der Gutachter Berger aus Frankfurt fest: "Der Diagonalgang hat allerdings nach der Teufe hin eine ganz wesentliche Verschlechterung erfahren, aber nur in der Ausdehnung, nicht in der Erzführung. Das kann der Anfang vom Ende sein ..." und weiter: "Denn die Gefahr ist zu groß, das die gewaltige Erzlinse des Diagonalganges auf der tieferen Sohle bereits stark verarmt oder gänzlich verschwunden ist. Ohne diese Linse aber würden alle drei Gruben einen Komplex darstellen, der bei guten Metallpreisen gut prosperieren, bei schlechten Preisen aber zu kämpfen haben wird" - eine Prognose, die schließlich 15 Jahre später bittere Realität wurde.
Zum 31. Dezember 1927 wurde die Grube mit letztendlich 179 Belegschaftsmitgliedern endgültig stillgelegt; damit erlosch auch gleichzeitig der Betrieb von "Heinrichssegen", auf der zuletzt nur noch 40 Bergleute arbeiteten. Da die Grube niemals in der Teufe hinsichtlich auf die dort noch vermuteten gewaltigen Spateisensteinmengen untersucht worden war, wurde sie in der letzten Periode des Siegerländer Bergbaus als Reservegrube der "Siegerländer Erzbergbau AG" geführt.
Nach der Stilllegung wurde in den 30er-Jahren in der mechanischen Aufbereitung eine Flotationsanlage errichtet, die es ermöglichte, die im Bodensatz der alten Schlammteiche enthaltenen Erzteilchen zu gewinnen, was mit den alten Aufbereitungsmethoden nicht zu erreichen war. Mit Unterbrechungen arbeitete diese Anlage bis in die 60er-Jahre.
Die Flotation verarbeitete zuletzt zudem alle auf den Siegerländer Gruben anfallenden Kupfererze. Ihr Versorgungsgebiet erstreckte sich von der Gr. "Georg" im Westerwald bis zur Grube "Neue Haardt" in Weidenau. (Verfrachtung mit LKW).
Seit Aufnahme des Betriebes 1954 wurden dabei 90340 t Kupfererz verarbeitet und 7722 t Kupferkonzentrate sowie 1519 Tonnen metallisches Kupfer gewonnen (Siegener Zeitung, Aug. 1960). Nachdem in den 30er-Jahren schon die Schachtanlage mit Kessel- und Maschinenhaus dem Erdboden gleichgemacht worden war, wurde 1964 das seit Jahrzehnten leer stehende Bürogebäude mit Waschkaue abgebrochen.
Geblieben ist mit dem ehemaligen Montanrevier am Hohen Wald eine der reizvollsten Landschaften des Siegerlandes - ein ausgewiesenes Landschaftsschutzgebiet, das von den immer wieder aus der (untersten) Schublade herausgekramten Autobahnplänen noch lange verschont bleiben möge.
"In Gräben und Kumpen aber rauscht das Wasser, als suche es Dienst; um Halden und Mauerschutt blühen Weidenröschen und Fingerhut" (Adolf Wurmbach).
Die Grube Victoria war nicht nur eine bedeutende Erzgrube, sondern erlangte auch als Fundort hervorragender Mineralien Weltruf. Kupferkies, Bleiglanz und Siegenit in hervorragenden Kristallen sowie die wie Diamanden glänzenden Bleimineralien Anglesit und Cerussit waren schon im 19. Jahrhundert begehrte Sammlerstücke und z.T. auch Gegenstand wissenschaftlicher Abhandlungen.
Die eigentliche Sensation aber war ein außergewöhnlicher Fund des Nickelminerals Millerit, welches weltweit zumeist nur in feinen haarförmigen Kristallen auftritt. Faustdicke goldgelbe Nadelbündel des Minerals setzten nun einen neuen Standard für diese Mineralart. So schwärmt Rudolf Nostiz in seinem Werk "Die Mineralien der Siegener Erzlagerstätten (1912): "Die Grube Victoria hat im Jahre 1909 die großartigsten Millerite geliefert, die überhaupt im Siegerlande vorgekommen sind. Will man sich eine ungefähre Vorstellung von dem Vorkommen machen, so denke man sich die nach oben gekehrten Borsten einer Kleiderbürste aus messinggelben, zu Bündeln vereinigten, glänzenden Nadeln bestehend, die eine Länge von mehr als 5 cm haben ..."
Darüber hinaus waren auch die Gänge der angeschlossenen Grube "Heinrichssegen" seit jeher berühmte Mineralfundstellen, insbesondere für das Silbermineral Pyrargyrit. Schon der Oberbergrat Johann Philipp Becher hebt 1789 die Qualität der damals dort erstmals gefundenen Pyrargyritstufen in seiner "Mineralogischen Beschreibung der Nassau-Oranischen Lande" hervor: "Sie sind sechsseitig säulenförmig kristallisiert, und ich habe Stufen gesehen, in denen Gruppen von Säulen beisammen standen, die den schönsten Harzer Stufen von der Art nichts nachgeben".
Leider sind heute nur noch in verhältnismäßig wenigen Sammlungen gute Stücke aus dem Littfelder Revier vertreten. Auf der 33. Siegerländer Mineralienbörse, morgen in der Siegerlandhalle von 11 bis 17 Uhr, werden - unter Beteiligung von Privatsammlern sowie des Müsener Stahlbergvereins - neben Bildern und Dokumenten auch hervorragende Mineralien von der Grube "Victoria" zu sehen sein. Eine zweite Sonderschau ist dem Mineral Baryt gewidmet, das gerade auch im Müsen-Littfelder Revier in sehr schönen Kristallen gefunden wurde.
"Am Schacht auf der Höhe lag in den Jahren 1920-1923 große Mengen Zinkblende auf Halde gekippt. Dieses Erz und Kupferkies u. Fahlerze wurden Jahre später für gute Goldmark verkauft.
Den Bergmann hat man mit wertloser Papiermark bezahlt. Alle 10 Tage gab es Abschlag und war die Entwertung so groß, das für 10 Tage schwere Bergmannsarbeit kaum ein Brot konnte gekauft werden. Nachdem man gestreikt hatte, gab es tägl. Zahlung. Im Übrigen hielten Frau und viel Kinder durch schwere Arbeit auf Feld u. Hauberg den Ernährer (Bergmann) in Schwung.
Heute spricht man oft von der guten alten Zeit. Na ich danke!"

Norbert Stötzel